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Soziales Gewalterfahrungen in der Kindheit

mane
mane
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Gewalterfahrungen in der Kindheit
geschrieben von mane
Erst nachdem bekannt wurde, dass in Heimen und Privatschulen Misshandlungen an der Tagesordnung waren, dass Geistliche Kinder mit Stöcken schlugen - erst seitdem wird offen über die damals an Kindern verübte alltägliche Gewalt geredet. Fragen nach dem WARUM kommen auf: War es der Zeitgeist, der zu Watsch'n und einer Tracht Prügel verleitete? Hing es damit zusammen, dass die Väter traumatisiert aus dem Krieg zurückkehrten? Geschah dies alles in einer unsäglich brutalen Erziehungstradition? Mit einem Blick auf Gegenwart und Vergangenheit beschreibt dieses Buch, wie sich der Vertrauensbruch der Eltern auf die Biografie der Kinder ausgewirkt hat. Wie die demütigenden Schläge die Gefühle, den Alltag und die Beziehungen einer ganzen Generation bis heute beeinflussen. Und ob die einst geprügelten Kinder als spätere Erwachsene diesen Eltern verziehen oder mit ihnen brachen.
geschrieben von Ingrid Müller Münch

Die geprügelte Generation: Kochlöffel, Rohrstock und die Folgen

Leider ist es so, dass viele Kinder durch unfähige Erwachsene zu Erwachsene werden, die ebenso wieder zuschlagen werden.
Darum finde ich es wichtig, sich mit der eigenen, oft gewaltvollen Vergangenheit auseinanderzusetzen, um dem Kreislauf der Gewalt zu entgehen und den eigenen Kindern geben zu können, was ihnen zusteht: Ein Aufwachsen ohne Gewalt.

Wir sind hier im Seniorentreff zwar in einem Alter, in dem wir keine eigenen Kinder - manchmal sind noch die es Enkel - , mehr aufziehen, doch können auch wir, wie ich finde, profitieren, wenn uns die Gründe klarwerden, warum unsere Eltern so handelten und warum wir so geworden sind, wie wir sind. In dem Buch geht es um die Generation der in den 50er und 60er geborenen und das Geschriebene war für viele von ihnen, eine ganz normale Kindheit.

Mane
Locomotivedriver
Locomotivedriver
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Re: Gewalterfahrungen in der Kindheit
geschrieben von Locomotivedriver
als Antwort auf mane vom 09.02.2015, 12:32:21
Da ich zur 50er Generation gehöre und aus eigener Anschauung weiß was damals in der Erziehung abging, habe ich mich sehr intensiv, als feststand dass bei uns Nachwuchs geplant war, damit auseinander gesetzt und habe unseren Sohn ohne einen Schlag zu geben, gewaltfrei erzogen.

Denn beim Schlagen fehlen ganz einfach die überzeugenden Argumente gegenüber dem Kind.
Aber auch in vielen Ehen in denen Gewalt herrscht fehlen überzeugende Argumente.

Leider musste ich erst 60 Jahre alt werden um zu erkennen, was in der Ehe meiner Eltern wirklich abging, weil die gesamte Familie darüber den Mantel des Schweigens breitete, "nur jaaaaa kein Aufsehen bei der Nachbarschaft erregen, wenn es mal wieder im familiären Strafgericht Freitag Abends hoch her ging!!"

Leider kann ich heute niemanden mehr zu Antworten zwingen, über das "WARUM"!!!!
Ich würde es nur zu gern um die, aller Wahrscheinlichkeit nach "hanebüchenen Argumente" zu erfahren.

Dieser Stachel sitzt bei mir zu tief in der Seele!
beresina
beresina
Mitglied

Re: Gewalterfahrungen in der Kindheit
geschrieben von beresina
als Antwort auf mane vom 09.02.2015, 12:32:21
ich gehöre in die 40er generation. meine mutter war 18, mein vater 21 als sie heiraten und ich kurz darauf geboren wurde. an die ersten lebensjahre - etwa bis 4 - kann ich mich nicht erinnern. ich war 4 jahre alt, als sich meine eltern scheiden liessen. von da ab wurde ich von der großmutter "erzogen", und das ziemlich streng. es gab nicht nur klapse, sondern meistens "dresche". das nahm zu, als ich älter wurde. wenn "mutter" abends von der arbeit kam, wurde von oma berichtet, was ich alles "angestellt" hatte. und dann wurde ausgeteilt, in den keller gesperrt, stundenlang....
ich wurde immer aufmüpfiger, immun gegen die prügel und immer haßerfüllter gegen meine "erzieher". so ging das jahrelang. ein "mitspracherecht" hatte ich nie. der mund wurde mir einfach verboten, ich durfte sprechen, wenn es "erlaubt" war.
meine letzten ohrfeigen bekam ich mit 21 jahren, weil ich nicht sofort zum abwaschen in die küche kam, sondern erst noch in einem buch las.

meine 4 kinder haben niemals prügel bekommen, ich wollte es anders machen und ich habe das auch geschafft.

jetzt, im alter, habe ich das anlässlich eines streits meiner mutter vorgeworfen, habe sie wegen ihres erziehungsstils verurteilt. die konsequenz ist, dass meine mutter (96) keinen kontakt mehr zu mir wünscht. so hart es klingt, aber es ist mir egal. ich habe mich befreit.....

beresina

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Drachenmutter
Drachenmutter
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Re: Gewalterfahrungen in der Kindheit
geschrieben von Drachenmutter
als Antwort auf mane vom 09.02.2015, 12:32:21
Von Gewalterfahrungen in der Kindheit könnte ich ein ganzes Buch schreiben.

Meine Erzeuger waren gewalttätig, grausam und lieblos. Sie haben meine Schwester und mich gedemütigt und misshandelt. Es wurde mit dem dünnen Rohrstock auf das nackte Gesäß geschlagen. Dafür durften wir unser Gesäß zuvor noch selbst entblößen, um die Strafe entgegenzunehmen.

Gelobt wurden wir nie, weil wir nie die hohen Erwartungen unseres pedantischen Erzeugers erfüllen konnten.

Selbst als er schon 90 Jahre alt war und von meiner Schwester gefragt wurde, warum er uns nie gelobt hätte, gab er zur Antwort: "Was hätte ich denn loben sollen, es gab ja nichts zu loben!"

Er war stets der einzige, der alles richtig machte, alles konnte und sich alles erlaubte. Widerspruch war so ungehörig, dass es dafür Ohrfeigen gab.

Der eigene Wille wurde als Halsstarrigkeit und Aufmüpfigkeit bezeichnet. Das musste gebrochen werden, um funktionierende Roboter aus uns zu machen.

Meine Schwester hat angeblich schon früh erkannt, dass all' dieses Gebaren aus einer inneren Schwäche unseres Erzeugers entstanden sei und hat ihm und auch unserer Erzeugerin verziehen, die uns ebenfalls psychisch und physisch misshandelt hat.

Ich konnte das nicht. Als hochsensibler Mensch wurde meine Seele, meine Psyche schwer geschädigt. Meine Erzeuger sind die beiden Menschen, die mir in meinem Leben am meisten geschadet haben. Das schrie in mir nach Rache.

Als beide im hohen Alter meine Hilfe benötigt hätten, habe ich sie ihnen verwehrt, denn ich hätte ihnen nur geben können, was sie mir gaben, als ich auf Gedeih und Verderb von ihnen abhängig war. Liebende Fürsorge war nicht dabei. Und so brach ich zu meinem und ihrem Schutz den Kontakt ab.

Es kam der Tag, an dem beide ins Altersheim kamen und die Wohnung geräumt werden musste. Ich konnte keinen Schritt mehr in diese Wohnung setzen, ohne schreckliche Erinnerungen zu haben. So bat ich meinen Mann, am Tag der Entrümpelung allein vor Ort zu sein. Erst als die Wohnung vollständig leer war und die Schlüsselübergabe stattfand, setzte ich wieder einen Fuß in diese Wohnung, um mit ihr abzuschließen.

Dabei gab es im Keller noch einmal einen Gruß meiner Erzeuger an mich. An der Wand des leergeräumten Kellers hing, fein säuberlich mit Nägeln befestigt, der dünne Rohrstock, mit dem meine Schwester und ich misshandelt worden sind. Es lief mir eiskalt über den Rücken und ich begann zu zittern. Mein Mann hat dann dieses verhasste Teil in viele kleine Stücke gebrochen und in die Mülltonne geworfen. Das Teil hatte übrigens einen Namen. Es wurde Pfiffi genannt, weil es so schön pfiff, wenn es durch die Luft auf unser Gesäß sauste.

Diese Grausamkeiten werde ich meinen Erzeugern bis zum St.-Nimmerleinstag nicht verzeihen. Dafür werde ich sie bis an mein Lebensende hassen, ja hassen, denn nichts anderes haben sie verdient. Ich weiß Hass fesselt einen an denjenigen, den man hasst. Aber bisher habe ich noch keinen Weg gefunden, meinen Hass in etwas anderes umzuwandeln. Vielleicht eines Tages ............. wer weiß das schon.

woelfin
chris33
chris33
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Re: Gewalterfahrungen in der Kindheit
geschrieben von chris33
als Antwort auf beresina vom 09.02.2015, 13:37:04
das geht unter die haut, beresina - und ich freue mich, daß du deinen inneren frieden gefunden hast.

so wie du, habe ich auch dresche bekommen - allerdings mäßig, aber es hat "gereicht" (ist´s das, was der papst akzeptiert? und was ist mäßig?) meine wut über diese demütigungen kann ich noch heute nachempfinden..

mein mann und ich haben unsere kinder ohne schläge erzogen - diese abmachung haben wir schon vor ihrer geburt getroffen. (war manchmal nicht ganz einfach )

die enkelkinder werden erzogen - ohne prügel oder verbale demütigungen.

chris33
mane
mane
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Re: Gewalterfahrungen in der Kindheit
geschrieben von mane
als Antwort auf Locomotivedriver vom 09.02.2015, 12:52:36
Hallo Loco,

auch ich bin aus der Generation der 50er-Jahre und habe früh Bekanntschaft mit dem "Teppichklopfer" gemacht. Besonders die ersten 3-5 Jahre sind in meiner Erinnerung, von für mich damals unerklärlichen Gewalterfahrungen geprägt. Wie soll ein Kind in diesem Alter verstehen, warum die engsten Vertrauten oft unvorhersehbar oder auch mit Ankündigung (warte, bis der Papa kommt) zuschlagen? Ich kenne die Gefühle der Hilflosigkeit, des Ausgeliefertseins, manchmal bis heute noch. Doch nun bin ich meistens stark und es besteht kaum Gefahr, dass mir jemand Gewalt antut.
Doch, wie Du schreibst: "Dieser Stachel sitzt tief in der Seele."

"Überzeugende Argumente" für das Verprügeln der Kinder, brauchten damals nicht geliefert werden. Es war auch in der Schule oft normal und wurde auch nie zum Thema eines Elternabends gemacht, eben weil es auch zuhause geschah.

Leider kann ich heute niemanden mehr zu Antworten zwingen, über das "WARUM"!!!!
Ich würde es nur zu gern um die, aller Wahrscheinlichkeit nach "hanebüchenen Argumente" zu erfahren.
geschrieben von Loco


Heute weiß ich, dass es meine Eltern damals in der Nachkriegszeit sehr schwer hatten. Traumatisiert durch den Krieg, den Verlust ihrer Heimat und die Flucht, waren sie einfach überfordert. Mit meiner Mutter habe ich schon vor langer Zeit Frieden geschlossen. Sie erklärte mir die Verhältnisse der damaligen Zeit und bedauerte, dass sie den Bedürfnissen ihrer Kinder nicht nachkommen konnte.
Das machte es mir leichter, mit meinen Kindern ohne Gewalt umzugehen.

Gruß Mane

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chris33
chris33
Mitglied

Re: Gewalterfahrungen in der Kindheit
geschrieben von chris33
als Antwort auf mane vom 09.02.2015, 15:19:27
das waren wohl die antworten, die wir später bekommen haben "es war die zeit".

ich habe nie verstanden, weshalb geschlagen wurde, wenn´s eltern emotional oder sonstwie "schlecht ging". ich habe gemerkt, daß man keine lust hatte, sich mit dem "bösen kind" auseinander zu setzen (meine eltern waren damals viel zu jung, um eltern zu sein-wie viele andere auch) - es war einfacher, mit der ohrfeige oder mit kloppe.

meine vermutung ist, daß es ganz viel mit "intelligenz" und fehlender bildung zu tun hat. ein intelligenter mensch schlägt nicht drauf los - besonders die eigenen kinder, die man doch lieb hatte...

chris33
beresina
beresina
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Re: Gewalterfahrungen in der Kindheit
geschrieben von beresina
als Antwort auf Drachenmutter vom 09.02.2015, 15:16:17
oh woelfin,
da hast du ja auch ganz schlimmes durchgemacht

nicht mal die prügel - die prallten bald ab von mir - haben mich so verletzt. die lieblosigkeit und das "runtermachen", das desinteresse an mir, machten mir mehr zu schaffen.

ich erinnere mich - ich war so ca. 13 jahre alt - da entdeckt man ja seinen körper "neu". meine mutter zwang mich eines tages dazu, mich nackt auszuziehen, sie wolle mal "gucken", wie ich so entwickelt bin.
ich schämte mich so sehr, ich kann es kaum beschreiben. da war keine sensibilität von "erzeugerseite", einfach nur eine "begutachtung".

noch ein sehr krasses beispiel:

mit 24 wurde ich schwanger von einem verheirateten mann - der später nach seiner scheidung mein ehemann wurde. meine mutter war entsetzt - ich wohnte noch zuhause. mit argumenten wie "das können wir uns nicht erlauben, ein uneheliches kind, wir verlieren unsere wohnung" machte sie mich "kirre", zwang mich auf den hängeboden und boxte mir mit anlauf 3-4mal in meinen bauch - ich war im 3. monat!!!
ich verließ daraufhin sofort mein elternhaus und brachte später gottseidank eine gesunde tochter zur welt.
dieses drama habe ich nie vergessen und nie verziehen. später versuchte meine mutter mit finanzieller hilfe alles vom tisch zu fegen. zu spät!
als später meine drei jungs unterwegs waren, hat sie nur gelangweilt und verletzend reagiert, so in etwa "was schon wieder?" oder
"muss das sein" oder "wie kann man nur".
meine schwiegereltern hingegen haben sich über jeden neuen erdenbürger riesig gefreut.

beresina, plötzlich mit der vergangenheit wieder konfrontiert.
olga64
olga64
Mitglied

Re: Gewalterfahrungen in der Kindheit
geschrieben von olga64
als Antwort auf mane vom 09.02.2015, 15:19:27
Mane - ich denke, kein geprügeltes Kind muss im Nachhinein Entschuldigungen für die Eltern suchen und finden, die sich in dieser schlimmen Form den ihnen anvertrauten Kindern verhalten haben.
Erklärungen kann man finden und sie sind auch logisch. Eine Elterngeneration, die während der Nazizeit sozialisiert und verblendet wurde, die mit Gewalt aufwuchs, wird diese auch selbst praktizieren.
Auch bei mir war es so - aber nur bei mir; mein Bruder wurde von Schlägen verschont und dies mit der perfiden Erklärung, ich hätte sie rausgefordert.
In mir wurden dadurch aber auch Kräfte mobilisiert - ich verliess dieses Elternhaus mit 18 Jahren (mit Hilfe eines fähigen Vormundes) - das Verhältnis zur "Schlägerin" war lebenslang gestört - ich hätte immer Probleme damit gehabt, mich von der gleichen Hand evtl. streicheln zu lassen, die mich vorher derb verprügelte.
Und ein ehrliches Gespräch auch am Ende des Lebens meiner Mutter war leider nie möglich - immer der gleiche Satz, ich hätte das alles durch mein Benehmen herausgefordert. Irgendwann musste ich mich als Mensch vor diesem Verhalten schützen - ich tat es und konnte ein selbstbestimmtes Leben ohne Schläge führen. Olga
Edita
Edita
Mitglied

Re: Gewalterfahrungen in der Kindheit
geschrieben von Edita
als Antwort auf olga64 vom 09.02.2015, 15:48:31

Erklärungen kann man finden und sie sind auch logisch. Eine Elterngeneration, die während der Nazizeit sozialisiert und verblendet wurde, die mit Gewalt aufwuchs, wird diese auch selbst praktizieren.
Olga


Liebe Olga, die Nazis sind an vielem schuld aber nicht an " Zucht und Ordnung ", Zucht und Ordnung waren Synonyme für ein gut funktionierendes Gesellschaftssystem, wie in Familien, Schulen , Gemeinden, Staaten und auch beim Militär, welches der Alte Fritz mit seinem Preußentum wohl perfektioniert hat, die Nazis haben das "nur" ganz miserabel annektiert!
Körperlich gezüchtigt wurde nach des alten Fritzens Manier, also die Generation unserer Großväter, Väter, Großmütter und Mütter!

Edita

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